Kalte Progression - einfach erklärt

Heimliche Steuererhöhungen. Wie von Geisterhand. Ohne gesetzlichen Beschluss. Die Rede ist von der kalten Progression. Was steckt eigentlich hinter dem Begriff und den Gerüchten?

 

Bei der Erklärung helfen Nils und Tina. Beide wohnen in Deutschland und verdienen dort ihr Geld. Nils hat ein Einkommen von 30.000 Euro im Jahr, Tina von 45.000 Euro. Die Besteuerung ihrer Einkommen richtet sich nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Das heißt: je höher das Einkommen über dem Existenzminimum liegt, desto höher ist auch der zu zahlende Steuersatz. Man nennt dies Steuerprogression. Nils landet mit seinem Einkommen bei einem Steuersatz von 19,7 Prozent. Weil Tina mehr verdient, zahlt sie etwa 25 Prozent Einkommensteuer.

 

Angenommen Nils erhält eine fünfprozentige Gehaltserhöhung, also 1500 Euro mehr. Im Steuertarif rutscht er damit in einen höheren Steuersatz. Mit 31.500 Euro Einkommen muss er nun knapp 20,5 Prozent Steuern zahlen. Das entspricht etwa 500 Euro mehr Steuern. Von seiner Gehaltserhöhung bleiben ihm abzüglich der Steuern also rund 1000 Euro. Er könnte sich damit z.B. seinen lang ersehnten Fernseher kaufen.

 

Anders sieht es aus, wenn nicht nur Nils’ Gehalt sondern auch seine Lebenshaltungskosten, wie Miete, Energie oder Nahrung um 5 Prozent ansteigen. Solche Preissteigerungen bezeichnet man als Inflation. Nils’ Gehaltserhöhung gleicht so nur seine gestiegenen Lebenshaltungskosten aus. Geld für den neuen Fernseher hat er nicht übrig.

Nils kann sich also trotz seiner zahlenmäßigen Gehaltserhöhung real nicht mehr leisten. Dennoch rutscht er durch die Progression in einen höheren Steuersatz und zahlt mehr Steuern. Dadurch kann er sich insgesamt real sogar weniger leisten. Dies nennt man kalte Progression. Sie entsteht immer dann, wenn Preissteigerungen im Steuertarif nicht berücksichtigt werden.

 

Die kalte Progression könnte von vornherein vermieden werden. Zum Beispiel indem der Einkommensteuertarif regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst wird. Möglich wäre auch ein einheitlicher Steuersatz für Alle. Allerdings würden Geringverdiener dann deutlich mehr und Vielverdiener deutlich weniger belastet werden. Dies ist kaum mit dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit vereinbar.

 

Führt die kalte Progression also zu automatischen Steuererhöhungen? In gewisser Weise schon. Das Zusammenspiel von Inflation, Lohnerhöhungen und progressivem Steuertarif hat dem Staat jährlich Mehreinnahmen in Milliardenhöhe gebracht. Allerdings gibt es Bemühungen, dies zu ändern, wie zum Beispiel das Gesetz zum Abbau der kalten Progression zeigt.