Negatives Stimmgewicht - einfach erklärt

Eine Partei verliert Sitze, obwohl sie Wählerstimmen gewonnen hat? Oder eine Partei gewinnt Sitze, obwohl sie Stimmen verloren hat? Das klingt widersprüchlich. Doch diesen Effekt gibt es wirklich. Man nennt ihn negatives Stimmgewicht. In Deutschland kann das zum Beispiel bei der Bundestagswahl passieren.

 

Im deutschen Wahlrecht wird versucht Mehrheits-, Verhältnis- und föderales Wahlrecht zusammenzubringen. Die Kombination dieser Wahlmethoden wird durch komplizierte Zuteilungsverfahren und die Verrechnung von Mandaten erreicht. 

 

Mit der Erststimme werden per Mehrheitswahl Direktkandidatinnen gewählt. Wer die meisten Stimmen in einem Wahlkreis erhält, zieht in den Bundestag ein. Die Zweitstimmen werden an Parteien vergeben. Die Sitze werden im Verhältnis zur Stimmenanzahl aufgeteilt, also eine Verhältniswahl. Der Föderalismus ist das Organisationsprinzip der Bundesrepublik in Bund und Ländern. Das föderale Wahlrecht kommt in der Verteilung der gewonnenen Sitze auf die Landeslisten zum tragen. Auf diesen Listen stehen die Parteimitglieder eines Bundeslandes, die für den Bundestag kandidieren.

 

Die Zuteilung der Zweitstimmen erfolgt in zwei Schritten. Bei der so genannten Oberverteilung, dem ersten Schritt, werden die Stimmen anteilig an alle Parteien im Bundesgebiet verteilt. Man rechnet aus wie groß der Anteil einer Partei am gesamten Wahlaufkommen ist. Nach diesem Anteil werden die Sitze im Bundestag vergeben.

Der zweite Schritt nennt sich Unterverteilung. Die den Parteien zustehenden Sitze werden auf die Landeslisten der Bundesländer verteilt. Diese Verteilung richtet sich wiederum nach dem Stimmanteil in den jeweiligen Bundesländern. Wenn es Direktmandate gibt, werden diese zuerst vergeben. Dann werden alle weiteren Sitze von der Liste besetzt. Je mehr Direktmandate es gibt, desto weniger Listenkandidatinnen ziehen also in den Bundestag ein.  Im Normalfall werden etwa die Hälfte der Sitze durch die DirektkandidatInnen und die andere Hälfte über die Landeslisten besetzt. Gibt es mehr DirektkandidatInnen als Sitze durch den Zweitstimmenanteil zur Verfügung stehen, kommt es zu den sogenannten Überhangmandaten. Diese erhöhen die Gesamtanzahl der Sitze im Bundestag. 

 

Der Effekt des negativen Stimmgewichts kann bei diesem Beispiel auftreten: Zwei Parteien A und B erhalten bei einer Bundestagswahl die gleiche Stimmenanzahl. Also erhalten sie in der Oberverteilung die gleiche Anzahl an Sitzen im Bundestag. Wenn nun Partei A in einem Bundesland weniger Stimmen erhalten hat, kann es sein, dass ihr ein Mandat für einen Listenplatz aus diesem Bundesland verloren geht. Die Landeslisten sind verbunden. So wird ihr in einem anderen Bundesland ein Mandat dazu gerechnet, damit die bundesweite Verteilung stimmt. In dem Bundesland, in dem die Partei A Stimmen verloren hat, hat sie durch die Direktmandate ein Überhangmandat bekommen. Dadurch erhält sie einen zusätzlichen Sitz im Bundestag. Also hat sie einen Sitz mehr als Partei B, obwohl beide auf Bundesebene die gleiche Stimmenanzahl haben. Partei A hat aufgrund des Stimmverlusts in dem betreffenden Bundesland ein Mandat mehr.

 

Wählerstimmen sollen sich nicht gegen den Wählerwillen auswirken können. Denn dies widerspricht der Verfassung. Das Problem des negativen Stimmgewichts ist jedoch so komplex und die politischen Interessen so verschieden gelagert, dass bis heute keine endgültige Neuregelung gefunden werden konnte.